Menschenrechtsarbeit in der EU, was muss noch getan werden ? | Interview mit Professorin Dr. Beate Rudolf

Wie Lässt sich die Lage der Menschenrechte in der EU aktuell bewerten und was muss mit einem Blick in die Zukunft noch getan werden? Darüber sprach EBD-Viezepräsidentin Barbara Lochbihler im Interview mit Professorin Dr. Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) und Vorstandsmitglied des Europäischen Netzwerks der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (ENNHRI).

1. Das DIMR hat eine zentrale Stelle in der menschenrechtspolitischen Landschaft der Bundesrepublik inne und bereichert mit aktuellen Stellungnahmen und Gutachten regelmäßig den Politikbetrieb in Berlin, die akademischen Debatten und Diskussionen in der deutschen Zivilgesellschaft. Sie sind Mitglied im Vorstand des Europäischen Netzwerks der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (ENNHRI), über dessen Arbeit in Deutschland weniger bekannt ist. Bitte schildern Sie kurz dessen Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte.

ENNHRI bringt seit mehr als zehn Jahren über 40 Nationale Menschenrechtsinstitutionen (NMRI) aus ganz Europa, also auch jenseits der EU, zusammen. Es ermöglicht den Austausch und das gegenseitige Lernen, denn NMRI sind Solitäre im eigenen Land. Nach den Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen soll jeder Staat eine unabhängige Institution schaffen, die zu Schutz und Förderung der Menschenrechte im eigenen Land und durch dieses beiträgt.

ENNHRI unterstützt die europäischen NMRI darin, die Pariser Prinzipien einzuhalten, was auf internationaler Ebene in einem Akkreditierungsverfahren alle fünf Jahre überprüft wird. Das Netzwerk setzt sich für die Stärkung von NMRI ein und unterstützt sie, wenn sie in Gefahr geraten. Seit Februar 2022 unterstützen wir beispielsweise die Ombudsinstitution der Ukraine, die unter schwierigsten Bedingungen erfolgreiche Menschenrechtsarbeit leistet, etwa durch die Dokumentation von russischen Kriegsverbrechen, Besuche von Gefängnissen und Unterstützung von Binnenvertriebenen.

Eine weitere wichtige Aufgabe von ENNHRI ist es, gemeinsame Positionen in die europäische Politik zu tragen. Hierfür erarbeiten wir Stellungnahmen, etwa zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, beteiligen uns an Verhandlungen über neue Menschenrechtsverträge wie die Europarats-Konvention zu Künstlicher Intelligenz und nehmen Stellung in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, z.B. in Klimaklagen. Ein Schwerpunkt ist die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Europa. Hierzu erstellen wir jährlich einen umfangreichen Bericht, an dem alle Mitglieder mitwirken und den die Europäische Kommission in ihrem Rechtsstaatsbericht aufgreift.

2. Dieses Jahr wird der Europarat 75 Jahre alt! Die EBD wird dies gebührend begleiten und dabei auch auf dessen menschenrechtliche Errungenschaften und aktuellen Herausforderungen eingehen. Was wünschen Sie sich vom Europarat in diesem Jubiläumsjahr und wo sehen Sie Ansatzpunkte, die solide Menschenrechtsarbeit des Europarats zu verbessern?

Wie steht es um den angekündigten Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention, den EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen beim Europaratsgipfel in Reykjavik 2023 in Aussicht gestellt hat. Welche Vorteile würden sich für die Menschen in der EU daraus ergeben?

Der Europarat steht seit 75 Jahren für die untrennbare Verbindung von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten. Ich wünsche mir, dass er weiter Vorreiter des Menschenrechtsschutzes bleibt, so wie beispielsweise durch das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die Istanbul-Konvention. Dafür sollte der Europarat das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt in einen rechtsverbindlichen Text gießen. Zudem sollte der Europarat eine Konvention über Künstliche Intelligenz verabschieden, die doch noch den Privatsektor einbezieht, um wirksamen Menschenrechtsschutz sicherzustellen. Beide Prozesse laufen suboptimal, was zeigt, wie wichtig die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und von NMRI in alle Verhandlungen wäre.

Der Beitritt der EU zur EMRK würde einen einheitlichen Grundrechtsschutz in der EU gewährleisten – unabhängig davon, ob ein Mitgliedstaat oder ein EU-Organ gehandelt hat. Gerade in Zeiten, in denen rechtsextreme Parteien in ganz Europa die Geltung der Grund- und Menschenrechte leugnen, wäre das ein starkes Signal: Alle Hoheitsgewalt – ob staatlich oder supranational – ist an die Menschenrechte gebunden. Zudem würde die Kohärenz der Entscheidungen des Gerichtshofs der EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sichergestellt. Auch das stärkt die Menschenrechte, weil voneinander abweichende Entscheidungen es den Gegnern der Menschenrechte leicht machen, Zweifel an der Menschenrechtsidee zu säen.

3. Die anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament am 6.-9. Juni sind ein weiterer Anlass, sich mit der menschenrechtspolitischen Bilanz der Europäischen Kommission und des Europaparlaments auseinander zu setzen. Wo sehen Sie Rückschritte und wo konnten menschenrechtsbasierte Politiken gestärkt und weiterentwickelt werden?

Ein Fortschritt ist, dass die EU in der zu Ende gehenden Legislaturperiode ihre Instrumente zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten gestärkt hat. Hier bleibt aber noch viel zu tun, wie nicht zuletzt die Klag des Europäischen Parlaments gegen die Kommission wegen der geplanten Auszahlung von Geldern an Ungarn zeigt. Positiv ist auch, dass die EU der Istanbul-Konvention beigetreten ist und damit den Schutz von Frauen vor Gewalt in den Staaten stärken kann, wo Frauenfeinde die Ratifikation oder Umsetzung der Istanbul-Konvention verhindert haben. Die Richtlinie zur Umsetzung der Konvention enthält jedoch noch große Lücken, die in der kommenden Legislaturperiode gefüllt werden müssen. Ein wichtiger Schritt zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor einschüchternden Klagen war die Verabschiedung der Richtlinie zum Schutz vor strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (strategic lawsuits against public participation, SLAPP). Dass es gelungen ist, doch noch eine Einigung bei der EU-Lieferkettenrichtlinie zu erreichen, ist erfreulich, weil sie die Beachtung der Menschenrechte weltweit stärkt und in Europa gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft. Große Sorgen machen mir hingegen die Entwicklungen beim gemeinsamen europäischen Asylsystem (GEAS): Asylzentren an den Außengrenzen werden nur als abgeschlossene Lager funktionieren – welche Menschenrechtsverletzungen damit einhergehen werden, ist bereits jetzt auf den griechischen Inseln zu sehen. Ich hoffe, dass die Wahlen zum Europäischen Parlament diejenigen Akteure stärken, die die EU als ernsthaft als Union erhalten und stärken wollen, die auf der Achtung der Menschenwürde und der Wahrung der Menschenrechte (Artikel 2 EU-Vertrag) gründet.

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