Nachgefragt bei… S.E. Herr Aureliu Ciocoi
Beim Format "Nachgefragt bei..." kommen regelmäßig europäische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Aufgrund des aktuellen Vorsitzes der Republik Moldau im Ministerkomitee des Europarats, der proeuropäischen Ausrichtung der Republik Moldau und der anhaltenden geopolitischen Spannungen in Osteuropa haben wir uns mit S.E. Herr Aureliu Ciocoi, Botschafter der Republik Moldau, über die aktuelle politische Lage seines Landes, europäische Integration, sicherheitspolitische Herausforderungen und die Rolle des Europarats in der Region unterhalten.
Herr Botschafter, im September hat die Republik Moldau eine klar proeuropäische Regierung gewählt. Viele Beobachterinnen und Beobachter sehen darin eine richtungsweisende Entscheidung für den weiteren europäischen Weg Ihres Landes. Wie bewerten Sie den Wahlprozess und das Ergebnis, und worauf sollten sich Moldau und die Europäische Union nun konzentrieren, um den Beitrittsprozess erfolgreich und zügig voranzubringen?
S.E. Aureliu Ciocoi: Es stimmt, dass die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 28. September dieses Jahres die klare Entscheidung der Bevölkerung der Republik Moldau für die europäische Integration bestätigt haben. Darüber hinaus möchte ich betonen, dass Umfragen seit der Unabhängigkeitserklärung der Republik Moldau durchweg eine absolute proeuropäische Mehrheit in der moldauischen Gesellschaft belegen. Gleichzeitig läuft unser Annäherungsprozess an die EU bereits seit 1994, dem Jahr der Unterzeichnung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit der EU, das 1998 nach Abschluss der internen Ratifizierungsverfahren durch alle damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in Kraft trat. Nicht zu vergessen ist die führende Rolle der Republik Moldau in der Östlichen Partnerschaft – einem Projekt, das die EU 2008 für sechs Staaten in der östlichen Nachbarschaft der Europäischen Union ins Leben rief. Der Prozess der europäischen Integration meines Landes hat somit bereits eine gut strukturierte Tradition.
Offensichtlich hat der massive Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine der Republik Moldau einen enormen Anstoß gegeben, die Umsetzung der Kopenhagener Kriterien zu beschleunigen, um so schnell wie möglich die Voraussetzungen für eine Vollmitgliedschaft in der EU zu erfüllen und damit die Sicherheit und das Wohlergehen der Republik Moldau zu gewährleisten. Um dieses dringende Ziel zu erreichen, müssen wir jedoch eine Reihe notwendiger Reformen durchführen, auf die sich die neue Regierung der Republik Moldau konzentrieren wird. Wichtig ist, dass mein Land derzeit eine beispiellose Offenheit sowohl seitens der Europäischen Kommission als auch der Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfährt. Ich hoffe sehr, dass die Republik Moldau durch gemeinsame Anstrengungen so bald wie möglich die Voraussetzungen für eine formelle Einladung zum Beitritt erfüllen wird.
Wie gelingt es Ihrem Land, den pro-europäischen Kurs weiter zu festigen, ohne dabei die gesellschaftliche Stabilität zu gefährden – insbesondere angesichts von Desinformationskampagnen und externen Einflussversuchen?
S.E. Aureliu Ciocoi: Es handelt sich um ein schwieriges Thema. Die Republik Moldau war stets Einflüssen von außen ausgesetzt. Dies verschärfte sich besonders mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und erreichte seinen Höhepunkt während der Wahlkämpfe in der Republik Moldau. Es ist bekannt, dass Desinformation und die Verbreitung von Falschnachrichten nur dann erfolgreich sind, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen untergraben ist. Daher legen die Behörden der Republik Moldau besonderen Wert auf Transparenz und Korrektheit ihres Handelns und bekämpfen gleichzeitig subversive Aktionen in den Medien, Sozialmedien und andere Formen hybrider Kriegsführung. Die Erfolge der Republik Moldau in diesen Bereichen werden bereits in Brüssel und anderen Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten anerkannt. Offensichtlich sind unter diesen Umständen zusätzliche Anstrengungen der Behörden erforderlich, um einen offeneren und ehrlichen Dialog mit der gesamten Gesellschaft zu pflegen und jegliche Elemente zu vermeiden, die zu einer Spaltung der moldauischen Gesellschaft führen könnten. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt auch die Gemeinschaft der Nichtregierungsorganisationen in Moldau, die sich mit vollem Engagement für die Stabilität der Gesellschaft einsetzen. Ich möchte auch den Entwicklungspartnern der Republik Moldau meinen aufrichtigen Dank aussprechen, die meinem Land ein hohes Maß an Solidarität entgegengebracht und uns stets mit allem Notwendigen unterstützt haben, um externen Herausforderungen zu begegnen.
Im November übernimmt die Republik Moldau den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats – ein wichtiger Moment für Ihr Land. Welche Bedeutung hat diese Aufgabe für Moldau, und welche Schwerpunkte möchten Sie während Ihres Vorsitzes setzen?
S.E. Aureliu Ciocoi: Die Republik Moldau übernimmt vom 14. November 2025 bis zum 15. Mai 2026 den Vorsitz des Ministerkomitees. Dies ist das zweite Mal seit dem Beitritt unseres Landes zum Europarat im Jahr 1995, dass wir diesen Vorsitz innehaben; das erste Mal war 2003. Die wichtigsten Prioritäten des Vorsitzes der Republik Moldau liegen auf der Stärkung des Systems der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Förderung der Kinderrechte, der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, der Stärkung sozialer Rechte, der Unterstützung der lokalen Demokratie und der Bekämpfung von Desinformation. Ein zentrales Anliegen ist die kontinuierliche Unterstützung der Ukraine, einschließlich der Inbetriebnahme des Sondertribunals und der Beschwerdekommission.
Die Republik Moldau übernimmt den Vorsitz in einer Zeit großer Herausforderungen, und die Rolle des Europarats bei der Verteidigung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ist von entscheidender Bedeutung. Wir wissen, dass Demokratie kein Zustand ist, sondern ein Prozess, der ständiges Engagement, Mut und Verantwortungsbewusstsein erfordert. Die Republik Moldau unterstützt weiterhin die Kernwerte der Organisation und deren Mission, Frieden und Solidarität auf dem Kontinent zu fördern. Während ihrer Präsidentschaft wird die Republik Moldau über 30 Veranstaltungen ausrichten, darunter Ministertreffen und kulturelle Aktivitäten in Chișinău und Straßburg. Den Höhepunkt der moldauischen Präsidentschaft bildet das Ministertreffen in Chișinău am 14. und 15. Mai 2026, an den Delegationen aus allen 46 Mitgliedstaaten teilnehmen werden.
Die sicherheitspolitische Lage in Europa bleibt seit dem russischen Angriff auf die Ukraine äußerst angespannt. Auch Moldau spürt die Folgen dieses Krieges unmittelbar. Wie bewertet Ihre Regierung die aktuelle Situation, und welche Rolle kann der Europarat dabei spielen, Frieden, Stabilität und demokratische Werte in der Region zu stärken? Welche Formen der Zusammenarbeit mit europäischen Partnern sind für Moldau dabei besonders wichtig?
S.E. Aureliu Ciocoi: Es stimmt, dass die Sicherheitslage in Osteuropa sehr schwierig ist. Unter diesen Umständen hat die Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf um Unabhängigkeit und Souveränität sowie bei der Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Kontrolle über das gesamte Gebiet innerhalb der international anerkannten Grenzen absolute Priorität. Gleichzeitig ist das Engagement des Europarats für die Stärkung der Mechanismen zum Schutz der grundlegenden Menschenrechte im geografischen Gebiet der Organisation von entscheidender Bedeutung und trägt somit zu Frieden, Stabilität und Wohlstand der europäischen Nationen bei. Eine noch engere Annäherung zwischen dem Europarat und der Europäischen Union wird hierbei hilfreich sein, um das zentrale Ziel der europäischen Zivilisation zu gewährleisten – die Bewahrung und Weiterentwicklung echter demokratischer Traditionen.
Der moldauische Vorsitz fällt mit dem 75. Jubiläum der Europäischen Menschenrechtskonvention zusammen – ein zentrales Dokument für Europas Wertegemeinschaft. Wie können die Mitgliedstaaten, gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen, die Prinzipien der Konvention lebendig halten? Und welche Impulse möchte Moldau in diesem Kontext setzen?
S.E. Aureliu Ciocoi: Die grundlegenden Prinzipien der Menschenrechte spiegeln sich in der Europäischen Menschenrechtskonvention wider – der wichtigsten Quelle für Menschenrechte aller Mitgliedstaaten des Europarats. Gleichzeitig sind dieselben Prinzipien auch in der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen verankert. Anders als bei den Vereinten Nationen verfügt das System zum Schutz der grundlegenden Menschenrechte im europäischen Raum jedoch über ein etabliertes System zum Schutz dieser Rechte durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Demnach ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten des Europarats, die Menschenrechte und -freiheiten so strikt zu achten, dass möglichst wenige Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedstaaten den Europäischen Gerichtshof erreichen. Die Anzahl der Beschwerden an den Gerichtshof spiegelt jedoch objektiv die Qualität und das Ausmaß der Achtung der grundlegenden Rechte und Freiheiten durch die Regierungen wider. Daher ist ein eingehender Reflexionsprozess über die Stärkung der Kontrollmechanismen der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den Europarat erforderlich. Ich hoffe sehr, dass wir durch einen solchen Prozess die Gewährleistung der grundlegenden Menschenrechte und -freiheiten unabhängig von der Intensität der gegenwärtigen globalen geopolitischen Turbulenzen sicherstellen können. Europa hat sich stets durch seinen Kampf für diese Rechte ausgezeichnet. Daher müssen wir gemeinsam die Verantwortung dafür übernehmen, diese Rechte und Freiheiten für künftige Generationen zu gewährleisten, unabhängig davon, wie die neue Weltordnung in den kommenden Jahrzehnten aussehen wird.


