Nachgefragt bei…Barbara Gessler
Beim Format "Nachgefragt bei..." kommen regelmäßig europäische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Anlässlich der Rede zur Lage der Europäischen Union (SOTEU) von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, haben wir die Vertreterin der Europäischen Kommission in Deutschland, Barbara Gessler eingeladen, mit uns über die Prioritäten und Vorhaben der Europäischen Kommission zu sprechen.

Frau Gessler, am 10. September hielt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre jährliche Rede zur Lage der Europäischen Union. Welchen Prioritäten setzt die Europäische Kommission und welche Schwerpunkte halten Sie für besonders relevant für Deutschland?
Barbara Gessler: Neben aktuellen Aussagen etwa zu Gaza ist diese SOTEU vor allem ein Aufruf zur Einigkeit, aber sie konkretisiert auch, wie die Kommission ihre politischen Leitlinien weiter umsetzt. Wichtige Elemente auch gerade für Deutschland sind zum Beispiel, dass die von der Kommission vorgeschlagenen sogenannten Omnibus-Vorschläge beschlossen werden - also wie man Papierkram, unnötige Bürokratie ausmerzt. Dazu natürlich die Ratifizierung weiterer Handelsabkommen wie zum Beispiel Mercosur, weil wir das für unsere europäische Wettbewerbsfähigkeit brauchen. Die Vollendung des Binnenmarkts muss im Vordergrund stehen. Ein weiterer großer Fokus dieser Rede liegt auf den Bedürfnissen der Menschen in Europa - indem wir Lebenshaltungskosten bezahlbarer machen wollen.
Der Einstieg der Kommissionspräsidentin, Europa sei im Kampf, hat für Aufsehen gesorgt. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ankündigungen im Bereich der Verteidigungspolitik bzw. der Unterstützung der Ukraine?
Barbara Gessler: Die Kommissionspräsidentin hat den Ernst der Lage beschrieben, vor dem wir uns nicht wegducken können. Die Welt von heute ist gnadenlos, und für die Europäische Kommission bedeutet das: wir stellen die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten der EU und auch die Unterstützung der Ukraine auf eine neue Stufe. Weil uns klar ist, dass wir mehr tun müssen, dass Europa unabhängiger werden muss. Dafür haben wir einen klaren Fahrplan für gemeinsame Projekte und Zielvorgaben, die wir bis 2030 erreichen möchten. Es geht also um eine Art europäisches Verteidigungssemester. Wir stärken die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine, schlagen etwa ein neues Programm vor, das Qualitative Military Edge, das Investitionen in die Streitkräfte vorsieht. Außerdem werden wir 6 Milliarden Euro aus dem ERA-Darlehen vorziehen, um in eine Drohnen-Allianz mit der Ukraine einzutreten. Nicht zuletzt hat die Kommission vor wenigen Tagen das 19. Sanktionspaket vorgelegt.
Die Freizügigkeit im Schengen-Raum gilt als Kernelement der europäischen Einigung. Einige EU-Mitgliedstaaten haben jedoch in den letzten Jahren wieder nationale Grenzkontrollen eingeführt. Wie will die Europäische Kommission dieses Prinzip trotz solcher Einschränkungen sichern?
Barbara Gessler: Schengen ist eine der großen europäischen Errungenschaften. Damit sie auch in den kommenden Jahrzehnten bestehen bleibt, muss sich der Raum stets weiterentwickeln. Dafür gibt es zwar kein Patentrezept – aber drei zentrale Handlungsfelder.
Erstens: Wir müssen die Außengrenzen der EU weiter stärken, damit innerhalb des Schengens-Raums keine temporären Grenzkontrollen mehr notwendig sind. Wir verstehen durchaus die Sorgen mancher Mitgliedsstaaten, die sich unter Druck gesetzt fühlen.
Zweitens: Das europäische Migrationsmanagement muss verbessert werden. Im vergangenen Jahr haben sich die Mitgliedstaaten auf ein neues Migrations- und Asylpaket geeinigt. Die Kommission hat dieses 2025 durch weitere Maßnahmen ergänzt, um vor allem die Rückführung von Personen zu verbessern, die kein Recht haben, in Europa zu bleiben. Hier geht es um also um Umsetzung.
Drittens: Um Schengen zu schützen, müssen unsere Strafverfolgungsbehörden besser auf neue Sicherheitsbedrohungen reagieren können – vor allem auf grenzüberschreitende Kriminalität.
Das sind alles Dinge, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Europäische Union, in das Schengen-System, in die Europäische Union zurückzugewinnen. Weil wir den Menschen wieder das Gefühl geben müssen, dass wir Kontrolle über das haben, was in Europa passiert.