Europäische Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik vertiefen

Die internationale Ordnung befindet sich im Umbruch und die EU läuft Gefahr, Spielball im strategischen Wettbewerb globaler Mächte zu werden. Unter diesen Umständen muss sich die Bundesregierung entschieden für eine Stärkung der EU als geopolitische Akteurin einsetzen. Neben dem Ausbau der militärischen Handlungsfähigkeit gehört dazu, die wirtschaftliche Stärke der EU und damit ihre Handelspolitik besser zu nutzen, um europäische Interessen und Werte zu wahren.

Multilateralismus fördern und gemeinsame Verteidigungspolitik vertiefen

Schon vor Russlands Angriff auf die europäische Friedensordnung hatten Kriege und Bürgerkriege in Nachbarregionen, Handelskonflikte, hybride Kriegsführung, Cyberattacken und Terrorismus die Bedrohungen für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Europa zusehends erhöht. Umso wichtiger ist, dass die EU zu einer kohärenten und effektiven Außenpolitik findet und sich auf eine europäische außenpolitische Vision und Strategie einigt, die das Ergebnis einer europaweiten öffentlichen Debatte ist und über das Stückwerk des „Strategischen Kompasses“ hinausgeht. Als Schritt in diese Richtung sollte daher das Auswärtige Amt ein außen- und sicherheitspolitisches Forum der deutschen gesellschaftlichen Kräfte ins Leben rufen, das die Länder wie auch die kommunale Expertise einbindet.

Als Grundsatz dieser Version sollte die EU in erster Linie Konfrontationen durch zivile Konfliktlösungen und multilaterale Verhandlungen zu entschärfen suchen und sich global für Menschenrechte, Völkerrecht, Freihandel und die Bekämpfung der Klimakatastrophe einsetzen. Die Klimadiplomatie bleibt angesichts des sich schließenden Zeitfensters zur Eindämmung der Folgen der menschengemachten Erderhitzung vordringlich.


Dennoch verdeutlich der russische Überfall auf die Ukraine, dass Europa ebenso eine glaubwürdige militärische Fähigkeit zu seiner Verteidigung und zur Abschreckung potenzieller Angreifer braucht.

Die Bundesregierung muss sich daher im europäischen und transatlantischen Verbund glaubwürdig dafür einsetzen, dass die Ukraine wie auch potenziell andere gefährdete Staaten dem Angriff standhalten und ihre territoriale Integrität und Unabhängigkeit wiederherstellen können. Den Vorschlag zur Errichtung eines Schadenregisters für die Ukraine im Rahmen des Europarates muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Die Notwendigkeit ihrer Unterstützung und der direkte Zusammenhang für unsere Sicherheit muss die Politik der Bevölkerung noch eindringlicher kommunizieren. Hinter den Bündnisverpflichtungen aus den europäischen Verträgen und des Nordatlantikvertrages der NATO stehen wir fest. Ebenso könnte die Europäische Politische Gemeinschaft ein Forum zu sicherheitspolitischen Fragen im Größeren Europa sein.  

Die Leitlinien für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik der deutschen Bundesregierung unterstützen wir ausdrücklich. Daher setzen wir uns dafür ein, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in ihren Beziehungen mit Drittstaaten, die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frauen stärkt und gemäß der UN-Resolution 1325 darauf hinwirkt, dass Frauen gleichberechtigt in Konfliktschlichtungen, Friedensverhandlungen und Wiederaufbau einbezogen werden. Im Sinne der engeren europäischen Zusammenarbeit sollte sich die Bundesregierung für einen EU-Sitz im Weltsicherheitsrat einsetzen, auch weil so eine seit Jahrzehnten überfällige Reform der Vereinten Nationen angestoßen würde.  

Um eine glaubwürdige militärische Fähigkeit zu erlangen, muss die EU die verteidigungspolitische Zusammenarbeit über das Grundlagendokument eines Strategischen Kompasses und einer ambitionierten Fortführung der Initiative der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) vertiefen. Ziel der SSZ sollte sein, Truppenverbände zu integrieren und Interoperabilität zu verbessern, damit eine kohärente Streitmacht für die EU bereitsteht. Dabei muss die Kooperation bei Planung, Forschung, Entwicklung, Beschaffung und Ausbildung wie auch bei der Nutzung von Fähigkeiten weiter ausgebaut und die Harmonisierung der sozialen Rahmenbedingungen auf hohem Niveau für die Menschen in den Streitkräften mitgedacht werden. Die neuen Strukturen sollten unter einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle stehen, die durch das Europäische Parlament und eine Wehrbeauftragte oder einen Wehrbeauftragten gewährleistet wird.

Trotz der positiven Entwicklungen der SSZ und des Aufbaus eines Europäischen Verteidigungsfonds braucht es noch mehr gemeinsame Beschaffungen in der europäischen Verteidigungspolitik, um kostspielige, teilweise ineffektive Mehrfachstrukturen zu verhindern. Das bedeutet für die Bundesregierung, dass sie in den Verteidigungsetat in enger Koordination mit den europäischen Partnerländern investiert und dass sie bei neuen Kooperationsvorhaben vorangeht. Die angestoßene massive Verstärkung der Bundeswehr könnte somit das Momentum dafür schaffen, in den nächsten Jahren gemeinsam mit interessierten Nachbarstaaten ein bisher ungekanntes Maß an militärischer Integration anzustreben. Daher müssen Anschaffungen, wie ein Raketenschutzschild, strikt europäisch gedacht werden.

Mit einer Stimme in den auswärtigen Beziehungen sprechen

Als entscheidende Ergänzung zu den strategischen und verteidigungspolitischen Überlegungen muss die EU zudem durch institutionelle Veränderungen zu einer kohärenten und effektiven Außenpolitik kommen. Wir setzen uns daher mit Nachdruck für die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen im Rat für Auswärtige Angelegenheiten ein und fordern den Europäischen Rat auf, diese durch die Nutzung der Passerelle-Klauseln schrittweise einzuführen.  Parallel sollte diese Reform mit einer Stärkung des Parlamentarismus und somit des Europäischen Parlaments in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einhergehen.

Ebenso muss die EU in ihren Beziehungen zu Drittstaaten mit einer Stimme sprechen und ihre wirtschaftliche Größe nutzen, um ihre Interessen und Werte zu wahren. Dies gilt besonders für die Beziehungen zu China, für die die EU und ihre Mitgliedstaaten dringend eine einheitliche Strategie erarbeiten müssen. Diese Strategie sollte einen starken transatlantischen Charakter haben und sicherstellen, dass europapolitische, wirtschaftliche und technologische Souveränität wie auch die Einhaltung von Menschenrechten und international anerkannter Mindeststandards im Arbeitsschutz und Sozialwesen gewahrt werden. Bevor daher die EU ein Investitionsabkommen mit China abschließen kann, braucht es die Debatte zur strategischen Abhängigkeit von China und dem Verständnis der Zusammenarbeit mit einer globalen Macht, die an den Grundpfeilern der internationalen Ordnung wackelt, in dem sie die Universalität von Menschenrechten in Frage stellt.

Die Geschlossenheit der europäischen Staaten gegenüber Russland muss gewahrt bleiben und eine schrittweise Lockerung der Sanktionen kann es nur geben, wenn der Status-quo von vor 2014 an der russisch-ukrainischen Grenze wiederhergestellt wird. Dem entgegenstehend müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten demokratische Gruppen in Russland und Belarus im Exil wie auch – soweit möglich – in den Staaten selbst unterstützen.

Gleichzeitig sollte sich die Bundesregierung für eineenge außen- und sicherheitspolitische Partnerschaft mit allen Nachbarstaaten der EU einsetzen, um für gemeinsame Prinzipien zu werben. Eine besondere Bedeutung kommt dem Verhältnis zum Vereinigten Königreich zu.

Offene strategische Autonomie und faire Handelspartnerschaften fördern

Auf internationaler Ebene muss die EU eine Verfechterin offener Märkte, des Freihandels und globaler Wertschöpfungsketten bleiben. Dies gilt auch ungeachtet der Notwendigkeit zur Stärkung regionaler Märkte. Denn bis 2030 werden voraussichtlich etwa 85 Prozent des globalen Wachstums außerhalb der EU erwirtschaftet. Daher sollte sich die EU weiterhin für einen fairen Wettbewerb im Welthandel stark machen, der international gültige Sozial- und Arbeitsschutz- wie auch Umweltstandards fördert und europäische Verbraucherinnen und Verbraucher nützt. Wir unterstützen die Kommission in ihrem Vorhaben, die offene strategische Autonomie von europäischen Unternehmen im Weltmarkt zu fördern.

Die EU muss die multilaterale Handelsordnung stärken und die Reform der Welthandelsorganisation (WTO) vorantreiben, um die Regeldurchsetzung strategisch zu verbessern. Neue Freihandelsabkommen müssen unter breiter Beteiligung von repräsentativen Interessen und in größtmöglicher Transparenz demokratisch wie auch nachhaltig in verbindlicher Übereinstimmung mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens gestaltet werden. In Abgrenzung zu den drohenden Handelskriegen auf der Weltbühne muss sich die EU-Handelspolitik durch Fairness, Partnerschaft und Nachhaltigkeit auszeichnen sowie Umweltstandards berücksichtigen.

Auf dieser Basis werden wir uns auch für eine effektivere Durchsetzung der Menschenrechte und des Umweltschutzes entlang der Lieferkette einsetzen und den entsprechenden Richtlinienvorschlag offen diskutieren. Denn Sorgfaltsplichten entlang der Lieferkette ermöglichen Verbraucherinnen und Verbrauchern erst, nachhaltig und sozialverträglich zu konsumieren. Vor diesem Hintergrund steht außer Frage, dass die EU ihre Handelsbeziehungen zu engen freiheitlich-demokratischen Partnerländern dringend ausbauen muss. Zudem muss sie die Handelspolitik und die internationale Klimapolitik systematisch aufeinander abstimmen, etwa durch einen gemeinsamen Emissionshandel oder durch die Einrichtung eines Klimaklubs wie auch eines Klubs für kritische Rohstoffe.

Eine derart wirtschaftlich gestärkte EU sollte den Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP) partnerschaftlich und auf Augenhöhe begegnen. Wir fordern von der Kommission, das Versprechen nach einer Vertiefung der EU-Afrika-Beziehungen einzulösen und den Paradigmenwechsel in den gegenseitigen Beziehungen einzuleiten. Denn diese Zeit der Umbrüche erfordert es, das Versprechen endlich zu verwirklichen, die Geber-Empfänger-Struktur aufzulösen und eine faire Partnerschaft zu etablieren.

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