Grenzen in Europa abbauen
Die Überwindung von Grenzen und die Freizügigkeit im Schengen-Raum sind sichtbare Erfolge der europäischen Einigung. Durch EU-Erweiterungen und dem Abbau von Grenzkontrollen haben wir nach dem Ende des Kalten Krieges einen Raum der Freiheit und des Wohlstandes geschaffen, der heute den Großteil des einst getrennten Kontinents verbindet. Auf diese Errungenschaft aufbauend muss die Bundesregierung die europäische Integrationslandschaft proaktiv gestalten, indem sie EU-Beitritte forciert und gleichzeitig Rückschritte im Schengen-Raum revidiert.
EU-Beitritte ernsthaft und konsequent ermöglichen
Die EU sollte stets im Sinne ihrer Verträge offen für neue Mitglieder sein, die die europäischen Werte achten und fördern. Daher begrüßen wir den Entschluss die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau zu eröffnen als auch die neue Dynamik in den Beitrittsgesprächen mit den weiteren Kandidatenländern, deren Verhandlungen schnell begonnen bzw. vorangetrieben werden sollten.
Wichtig ist, dass allein die nicht verhandelbaren starken demokratischen, rechtstaatlichen und marktwirtschaftlichen Kopenhagener Kriterien den Fortschritt der schrittweisen Heranführung bestimmen und die EU gleichzeitig nach dem Grundsatz verfährt, dass sie keinem Mitgliedstaat des Europarates, der die Kriterien vollumfänglich und nachhaltig erfüllt, den Beitritt grundsätzlich verwehrt. Die Bereitschaft in Armenien und Island, den Beitritt ernsthaft ins Auge zu fassen ist zu begrüßen. Dass sich die Beitrittskandidatenländer Serbien, Georgien und die Türkei zunehmend von den Kriterien entfernen ist für das freie und demokratische Europa sehr besorgniserregend. Das praktische Einfrieren der Beitrittsverhandlungen ist und wäre nur konsequent. Dies ist aber nur eine Option, wenn die demokratischen Kräfte aus Wirtschaft und Gesellschaft weiter unterstützt werden, die Rechtstaat und Menschenrechte einfordern.
Auf der Gegenseite muss die EU – insbesondere der Rat – dringend eigene innen- und außenpolitische Reformen zur effizienten Wahrung und Verteidigung der Wertebasis angehen, um handlungsfähig und ein Vorbild im Sinne der Kopenhagener Kriterien zu bleiben.
Heranführungshilfen stärken und gesellschaftliche Kräfte strukturiert einbeziehen
Die EU sollte bei allen (potenziellen) Beitrittskandidaten im besonderen Maße auf die politischen Kopenhagener Kriterien Acht geben. Daher fordern wir, erstens, die Heranführungshilfen wie auch die Wiederaufbaugelder für die Ukraine für den Aufbau von demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen in diesen Ländern zu stärken. Zweitens sollte die institutionelle Förderung des Europarates für demokratisch verfasste gesellschaftliche Kräfte in den Beitrittsländern gestärkt werden. Drittens sollte die EU ihre Heranführungshilfen an einen Demokratie-Bonus koppeln, sodass demokratisch verfasste Organisationen in den Kandidatenländern stärker unterstützt werden. Denn dies alles stärkt die Demokratie im Kleinen in den Kandidatenstaaten, deren Vitalität eine unverzichtbare Komponente für die nachhaltige Erfüllung der Kopenhagener Kriterien darstellt. Einen Beitrag hierzu können auch Zwischenschritte im Beitrittsprozess sein, die Europa für die Menschen vor Ort schneller greifbar macht, oder auch Beobachterstati beim Europäischen Parlament (auch der Opposition), dem Rat und dem Europäischen Rat für alle Beitrittskandidatenländer.
Auf der Gegenseite sollte die EU bei gezielten, systematischen Rückschritten hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit und Demokratie die Beitrittsverhandlungen aussetzen und bei potenziellen Beitrittskandidaten die Heranführungshilfen einfrieren, ohne dass demokratisch verfasste und handelnde gesellschaftliche Kräfte finanzielle Nachteile tragen. Es ist auch im geopolitischen Interesse der EU, dass die Türkei die Kopenhagener Kriterien erfüllt.
Um die Verhandlungen zum Erfolg zu führen, sollten zudem alle Akteurinnen und Akteure einbezogen werden: Im Rahmen einer echten Europäischen Public Diplomacymuss jeder Beitrittsprozess von allen gesellschaftlichen Kräften, der Politik und den Institutionen kritisch diskutiert und breit getragen werden. Die EU sollte daher unabhängige und europäisch gesinnte Kräfte in den Beitrittsländern verstärkt fördern. Die Sozialpartner in den Beitrittsländern müssen aktiv in den Beitrittsprozess eibezogen werden und die Sozialpartnerstrukturen im Rahmen der Heranführungshilfen finanziell unterstützt und aufgebaut werden.
Um das Bekenntnis und die Motivation zu einem EU-Beitritt auch über die langwierigen Beitrittsprozesse nachhaltig zu fördern, sollte insbesondere jungen Menschen aus Ländern mit Beitrittskandidatenstatus eine Teilnahme am Erasmus-Mobilitätsprogramm ermöglicht und so der europäische Austausch gestärkt werden.
Fortschreitendes Aushöhlen von Schengen stoppen
Neben Fortschritten in der EU-Erweiterung gehört zur Gestaltung der europäischen Integrationslandschaft auch die Verteidigung des Schengen-Raums als zentraler Errungenschaft europäischer Freiheit. Die aktuellen Diskussionen und Forderung nach dauerhaften Kontrollen deutscher Grenzen lehnen wir entschieden ab. Ebenso wie abgeschwächter Formen von Grenzkontrollen, die über die im Schengen-Kodex formulierten Bedingungen hinausgehen, sind mit unserem Grundverständnis nicht vereinbar. Zu oft werden Lösungen für innerdeutsche Bürokratie- und Managementprobleme in einem “Weniger Europa“ gesucht. Nationale Mängel dürfen nicht auf Kosten europäischer Freiheiten und Solidarität gehen.
Unverhältnismäßige oder dauerhaft angelegte Grenzkontrollen im Schengen-Raum gefährden nicht nur die wirtschaftliche Stabilität, sondern untergraben das Vertrauen in eine funktionierende europäische Rechtsordnung. Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, Schengen nicht durch Kontrollen auszuhöhlen. Diese Maßnahmen stellen die Grundfreiheiten Europas in Frage und gefährden Wirtschaftswachstum, grenzüberschreitenden Handel, Beschäftigung und Wohlstand. Wir fordern die Bundesregierung sowie alle Mitgliedstaaten daher auf, das permanente Aushöhlen von Schengen durch Signalpolitik oder Grenzpopulismus zu unterbinden, Grenzkontrollen im Schengen-Raum einzustellen und ebenso gegen immer noch existierende Grenzen in den Köpfen vieler Menschen vorzugehen.
Nicht rechtmäßige Grenzschließungen sollte die Europäische Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren konsequent verfolgen. Auf die bewährten Lösungen wie Green Lanes oder das digitale Covid-Zertifikat sollte die EU mit Vorausblick auf künftige Krise aufbauen.
Wir fordern die Bundesregierung und die Europäische Kommission dazu auf, Kontrollen und Bürokratie für die Menschen in den Grenzregionen abzubauen. Hierzu gehört das immer noch nicht erfolge systematische Erfassen der Vorteile offener Grenzen für Bürgerinnen und Bürger. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit den deutschen Ländern gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gefahren von Einschränkungen in den Grenzregionen kennen und benennen können.
Ebenso koordiniert müssen die Mitgliedstaaten im
Schutz der Schengen-Außengrenzen und der schrittweisen Öffnung zu EU-Drittstaaten vorangehen. Insbesondere müssen die
Europäische Kommission und die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass EU-Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem aktuellen Wohnsitz und Arbeitsort nicht in EU-Aus- und Inländerinnen oder Inländer unterschieden werden.
Dringend müssen die Kompetenzen des Europäischen Polizeiamtes Europol weiterentwickelt und die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex zu einer Grenzschutzpolizei ausgebaut werden, die unter Kontrolle des Europäischen Parlaments und des Rates der EU steht. Denn die EU muss in allen Bereichen transparent, parlamentarisch und grundrechtskonform handeln.
Nach der vollständigen Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum, sollte die Europäische Union auch offen für intelligente Lösungen für Zypern und Irland sein, mit dem Ziel, die unterschiedlich gelagerten Konflikte auf den Inseln im Interesse der gesamteuropäischen Freizügigkeit zu entschärfen bzw. zu lösen.