Deutsche Europapolitik strategischer und stringenter ausrichten
Die Zeitenwende erfordert, dass Deutschland seinen Erwartungen in der Europapolitik gerecht wird und alle Partnerinnen und Partner in der EU einbindet. Die Position Deutschlands als größter Mitgliedstaat und stärkste Volkswirtschaft innerhalb der EU verlangt daher eine strategische und stringente Europapolitik. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung hat die Dringlichkeit erkannt und ermöglicht eine strategische und personelle Neuaufstellung der Europakoordinierung.
Europapolitische Strategie durch bessere Koordinierung stärken
Europapolitik ist Innenpolitik. Auch innenpolitische Akteurinnen und Akteure dürfen sich darum nicht nur an kurzfristigen nationalen Eigeninteressen ausrichten. Nationale Interessen und Politiken brauchen stets einen europäischen Reflex und europäisches Verständnis.
Wir begrüßen, dass die neue Bundesregierung erkannt hat, dass ihre Europakoordinierung stringenter gestaltet werden muss. Noch nie benannte ein Koalitionsvertrag so deutlich die von der EBD lange geforderte Notwendigkeit einer verbesserten Europakoordinierung innerhalb der Bundesregierung – ein begrüßenswerter Schritt. Die de-facto-Koordinierung durch das Kanzleramt muss durch eine enge Zusammenarbeit nicht nur mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sondern auch mit allen Fachressorts, der Ständigen Vertretung bei der EU und den deutschen Botschaften im europäischen Ausland gewährleistet werden. Im Konfliktfall muss auf Kabinettsebene eine politische Lösung gefunden werden, die gemeinsam vertreten werden kann. „German Votes“ müssen weiter im Sinne einer deutschen Gesamtverantwortung in Europa reduziert werden. Ein systematisch verankerter Staatssekretärsausschuss für EU-Fragen ist zwar vorgesehen, doch seine politische Absicherung und Wirkung bleibt abzuwarten.
Wir fordern eine verbindliche und konkrete Einbindung der Parlamente – Bundestag sowie den Bundesrat. Die Vorschauberichte zu Ratssitzungen müssen frühzeitig übermittelt und die Hausleitungen der Ressorts regelmäßig die deutschen EU-Positionen vorab in den Ausschüssen erläutern.
Deutsche Europapolitik parlamentarisch und gesellschaftlich fest verankern
Deutsche Europapolitik muss parlamentarisch wie gesellschaftlich breit verankert werden, damit Deutschland in einem vereinten Europa dauerhaft handlungsfähig ist. Die Bundesregierung sollte den Bundesrat und den Deutschen Bundestag gemäß den gesetzlichen Vorgaben in die Vor- und Nachbereitung von Ratssitzungen umfassender und rechtzeitiger einbinden. Dies bedeutet, dass die Vorschauberichte mit mehr zeitlichem Verlauf an die zuständigen Ausschüsse geschickt werden. Zudem sollten die Hausspitzen der Bundesministerien regelmäßig in den zuständigen Bundestagsausschüssen, einschließlich des Europaausschusses, die deutschen Positionen zu den zentralen EU-Dossiers vor formalen Positionierungen des Rates erläutern.
Auch Vertreterinnen und Vertreter von demokratischen und repräsentativen Verbänden und Vereinen sowie Expertinnen und Experten sollten gemäß §47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) stärker in die Gestaltung deutscher Europapolitik eingebunden werden. Strategie, Effizienz und demokratische Teilhabe sind kein Widerspruch, sondern sichern eine breite gesellschaftliche Akzeptanz.
Eine moderne deutsche Diplomatie sollte ihre Expertise zu allen europäischen Partnerländern in die deutsche Europapolitik einbringen und konsequent gesamteuropäisch denken. Als nächste Schritte in der Gestaltung der europäischen Integrationslandschaft sollte die deutsche Bundesregierung das Konzept Weimar Plus konkretisieren und in die zwischengesellschaftlichen Beziehungen nicht nur zu den mittel- und osteuropäischen Nachbarn investieren.
Damit dies gelingen kann, braucht es eine Europäische Public Diplomacy, die über staatliche Akteurinnen und Akteure hinausgeht und einen strukturierten europaweiten Dialog fördert. Ein solcher Dialog ist auch im Lichte des russischen Angriffs auf die Ukraine und die Infragestellung einer regelbasierten internationalen Ordnung durch revisionistische und revanchistische Mächte dringend geboten. Hierbei können auch durch kommunale Partnerschaft und Zusammenarbeit Brücken geschlagen werden.
Zudem muss die europapolitische Koordinierung kohärent zwischen den beiden zentralen europäischen Institutionen erfolgen – der Europäischen Union und dem Europarat. Eine organisatorische Trennung von Europarecht und Unionsrecht innerhalb der Bundesregierung und im Bundestag ist nicht zielführend. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bilden ein gemeinsames Fundament beider Organisationen und erfordern eine abgestimmte und einheitliche Strategie deutscher Europapolitik gegenüber EU und Europarat.