Deutsche Europapolitik strategischer und stringenter ausrichten

Die Zeitenwende erfordert, dass Deutschland seinen Erwartungen in der Europapolitik gerecht wird und alle Partnerinnen und Partner in der EU einbindet. Die Position Deutschlands als größter Mitgliedstaat und stärkste Volkswirtschaft innerhalb der EU verlangt daher eine strategische und stringente Europapolitik. Wir fordern in diesem Zuge unsere Mitgliedsparteien auf, eine Neuaufstellung der Europakoordinierung in die Programmatik für die Bundestagswahl 2025 zu erarbeiten.

Kohärenz in der Europakoordinierung stärken

Europapolitik ist Innenpolitik. Auch innenpolitische Akteurinnen und Akteure dürfen sich darum nicht nur an kurzfristigen nationalen Eigeninteressen ausrichten. Nationale Interessen und Politiken brauchen stets einen europäischen Reflex und europäisches Verständnis.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung erkannt hat, dass ihre Europakoordinierung stringenter gestaltet werden muss. Medial ausgetragene Entscheidungen und interne Konflikte zeigen jedoch, dass das Versprechen des Koalitionsvertrages „sich durch eine stringentere Koordinierung eindeutig und frühzeitig zu Vorhaben der Europäischen Kommission zu positionieren“ immer weniger gelingt. Dies hat negative Auswirkungen auf Deutschlands Rolle als verlässlicher und gestaltender Partner in der EU.

In unserer Analyse ist dies auf den Strukturfehler der fehlenden Koordinierungs- und Moderationsfigur im Abstimmungsprozess der europäischen Positionsfindung der Bundesregierung zurückzuführen. Daher bekräftigen wir unsere Forderung, die europapolitische Koordinierung gänzlich neu zu denken und in einer internen Governance-Einheit zu bündeln, die die Expertise aus den Fachressorts zusammenbringt und sich dem demokratischen Diskurs europaweit wie auch innerdeutsch auf Augenhöhe mit den Kabinettskolleginnen und -kollegen stellen kann. Hierbei muss ein strukturierter Dialog mit den verschiedenen politischen Ebenen, insbesondere den Kommunen und den Ländern, auf den Weg gebracht werden, um die Europapolitik breit in der Gesellschaft zu verankern.

In der Europakoordinierungsrunde, die sich aus den Staatssekretären des Bundeskanzleramts, des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima und Bundesministeriums der Finanzen zusammensetzt, muss das federführende Ressort als auch das Kanzleramt Gesetzgebung stringenter begleiten. Parallel dazu braucht es einen europapolitischen Koalitionsausschuss, damit die politische Leitungsebene die Europapolitik verantwortet. Denn das leider wieder aktuell und berühmt gewordene „German Vote“ der Enthaltung oder die kurzfristige Neupositionierung der Bundesregierung in der EU-Gesetzgebung schaden den Interessen Deutschlands und einem funktionierenden Europa gleichen Maßen.

Deutsche Europapolitik parlamentarisch und gesellschaftlich fest verankern

Deutsche Europapolitik muss parlamentarisch wie gesellschaftlich breit verankert werden, damit Deutschland in einem vereinten Europa dauerhaft handlungsfähig ist. Die Bundesregierung sollte den Bundesrat und den Deutschen Bundestag gemäß den gesetzlichen Vorgaben in die Vor- und Nachbereitung von Ratssitzungen umfassender und rechtzeitiger einbinden. Dies bedeutet, dass die Vorschauberichte mit mehr zeitlichem Verlauf an die zuständigen Ausschüsse geschickt werden. Zudem sollten die Hausspitzen der Bundesministerien regelmäßig in den zuständigen Bundestagsausschüssen, einschließlich des Europaausschusses, die deutschen Positionen zu den zentralen EU-Dossiers vor formalen Positionierungen des Rates erläutern.

Auch Vertreterinnen und Vertreter von demokratischen und repräsentativen Verbänden und Vereinen sowie Expertinnen und Experten sollten gemäß §47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) stärker in die Gestaltung deutscher Europapolitik eingebunden werden. Strategie, Effizienz und demokratische Teilhabe sind kein Widerspruch, sondern sichern eine breite gesellschaftliche Akzeptanz.

Eine moderne deutsche Diplomatie sollte ihre Expertise zu allen europäischen Partnerländern in die deutsche Europapolitik einbringen und konsequent gesamteuropäisch denken. Als nächste Schritte in der Gestaltung der europäischen Integrationslandschaft sollte die deutsche Bundesregierung die Wiederbelebung des französisch-polnisch-deutschen Gesprächsforums des Weimarer Dreiecks fortführen und in die zwischengesellschaftlichen Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Nachbarn investieren.

Damit dies gelingen kann, braucht es eine Europäische Public Diplomacy, die über staatliche Akteurinnen und Akteure hinausgeht und einen strukturierten europaweiten Dialog fördert. Ein solcher Dialog ist auch im Lichte des russischen Angriffs auf die Ukraine und die Infragestellung einer regelbasierten internationalen Ordnung durch revisionistische und revanchistische Mächte dringend geboten. Hierbei können auch durch kommunale Partnerschaft und Zusammenarbeit Brücken geschlagen werden.

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