Nachgefragt bei…Dr. Thu Nguyen

Mit dem Format „Nachgefragt bei...“ kommen regelmäßig europapolitische Stimmen in Form eines Kurzinterviews zu Wort. Heute heißt es mit dem Fokus auf die Rolle Europas im Bundestagswahlkampf Nachgefragt bei … Dr. Thu Nguyen, Stellvertretende Direktorin des Jacques Delors Centre bei der Hertie School gGmbH in Berlin.
Dr. Nguyen, was sind die beiden Top-Herausforderungen für die Europapolitik der neuen Bundesregierung?
Dr. Thu Nguyen: Die zwei großen europapolitischen Herausforderungen für die neue Bundesregierung sind einmal Sicherheit und Verteidigung auf der einen Seite und europäische Wettbewerbsfähigkeit, inklusive einer geschlossenen Handelspolitik gegenüber den USA, auf der anderen Seite. Gleichzeitig gefährdet eine zunehmende Anzahl rechtspopulistischer Akteure, auch in den Mitgliedsstaaten, die Handlungsfähigkeit der EU. Von der neuen Bundesregierung wird, gerade auch mit Hinblick auf die politische Instabilität in Frankreich, Führungsstärke erwartet.
Was läuft in puncto Europapolitik im Bundestagswahlkampf besonders schief?
Dr. Thu Nguyen: Besonders bedenklich ist die Art und Weise, wie im Wahlkampf in der Diskussion um die deutsche Migrationspolitik der Vorrang des Europarechts offen in Frage gestellt wird mit dem Argument, dass andere Länder sich auch nicht an die europäischen Regeln hielten. Doch so funktioniert EU-Recht nicht: Wer Europarecht als problematisch empfindet, muss es auf europäischer Ebene verändern und kann es nicht einfach übergehen. Alles andere würde die europäische Rechtsordnung, und damit die EU, grundlegend gefährden.
Welche europäische Persönlichkeit hat Dich persönlich am meisten geprägt oder beeindruckt?
Dr. Thu Nguyen: Als Stellv. Direktorin des Jacques Delors Centres in Berlin gibt es auf diese Frage natürlich nur eine Antwort: der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors. Er hat nicht nur maßgeblich die EU, wie wir sie heute kennen, mitgebaut und mitgeprägt, sondern ist auch unser Namensgeber (und Gründer unseres Pariser Schwesterninstitut). Sein Engagement für ein starkes und vereintes Europa, insbesondere durch die Verbindung positiver Visionen mit konkreten und oft auch pragmatischen Schritten, inspiriert und leitet unsere tagtägliche Think Tank Arbeit.